Zum 99-sten Jahrestag der Oktoberrevolution 1917

«Oh, Gott, rette Russland! Das ist der Schrei, den meine Seele am Tage und in der Nacht ausstößt, darin liegt alles für mich»

 

 

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 «Oh, Gott, rette Russland! Das ist der Schrei, den meine Seele am Tage und in der Nacht ausstößt, darin liegt alles für mich».

Diese Zeilen wurden von Alexandra Fjodorowna 1917 aus der Verbannung in Tobolsk geschrieben, von der, derer Familie die Heimat ablehnte und verhöhnte...

Die Zarenfamilie wurde 1918 in der Nacht vom 16. Auf 17. Juli erschossen.

Auf das Schicksal der Zarenfamilie sind sehr schwere Prüfungen ausgefallen. Aber ihre Liebe, gefestigt mit der Hoffnung an Gott, bestand alle Prüfungen. Eben die Liebe war die Stütze, das Licht, die Freude, die innere Kraft und Schönheit der Zarenfamilie.

 

«…zwei Leben verbinden sich zu einem»

 

Die Tagebuchaufzeichnungen Alexandra Fjodorownas spiegeln die Tiefe wieder, mit der sie das Mysterium von Liebe und Ehe begreift. Wenn sie Bücher las, hat sie aus ihnen das herausgeschrieben, was ihren Vorstellungen über das Glück von Eheleuten und deren Pflichten am nächsten kommt, und darüber wie wichtig eine gute Atmosphäre zu Hause ist. Und vervollständigt hat sie diese Auszüge durch eigene Zusätze.

Aus dem Tagebauch von Alexandra Fjodorowna:

glava_2_05« Die Eheschließung ist ein göttlicher Ritus. Dieser war Teil des Göttlichen Plans, als Dieser den Menschen geschaffen hatte. Es ist die engste und heiligste Verbindung auf der Erde.»

«Der Göttliche Plan besteht darin, dass die Ehe Glück bringen möge, dass sie das Leben von Mann und Frau vollständiger macht, und dass nicht einer von beiden Verlierer ist, sondern beide gewinnen.»

«An den Hochzeitstag sollte man sich immer erinnern und man sollte diesen auch unter den anderen wichtigen Lebensdaten besonders hervorheben. Es handelt sich um einen Tag, dessen Licht bis zum Lebensende alle anderen Tage beleuchten wird.»

«Ein weiteres Geheimnis des Glücks im Familienleben besteht darin, einander genug Aufmerksamkeit entgegen bringen zu können. Mann und Frau sollten sich ständig Zeichen der zärtlichen Aufmerksamkeit und Liebe entgegenbringen. Das Glück des Lebens besteht aus einzelnen Minuten, aus kleinen Wohltaten – einem Kuss, einem Lächeln, einem guten Blick, einem aus dem Herzen kommenden Kompliment und unzähligen kleinen, aber guten Gedanken und ehrlichen Gefühlen. Auch die Liebe bedarf ihrer täglichen Nahrung.

Ein anderes wichtiges Element im Familienleben – das ist der Gleichklang der Interessen. Nichts, was die Interessen der Frau betrifft sollte einem Mann, auch wenn er einen gigantischen Intellekt verfügt, gering dünken. Andererseits sollte jede weise und treue Frau sich gern für die Angelegenheiten ihres Mannes interessieren. Sie wird über jedes seiner neuen Projekte eine Information wünschen, über jeden seiner Pläne, über seine Schwierigkeiten, und Zweifel.  Sie wird wissen wollen, welche von seinen Unternehmungen von Erfolg gekrönt ist und welche nicht und sie sollte über alles Bescheid wissen, was seinen Tagesablauf betrifft. Beide Herzen sollten sowohl Freud als auch Leid miteinander teilen. Möge alles in ihrem Leben eines sein. Sie sollten gemeinsam die Kirche besuchen, nebeneinander beten, gemeinsam vor den Füßen Gottes die Last ihrer Sorgen nieder legen, ob es ihre Kinder betrifft oder anderes für sie teure. Warum sollten sie auch zueinander nicht von den Versuchungen sprechen, denen sie ausgesetzt sind, über ihre geheimen Wünsche und warum sollten sie sich nicht einander helfen durch Mitgefühl, mit Worten und Verständnis? So werden sie ein Leben miteinander leben, und nicht zwei nebeneinander. Jeder sollte im Hinblick auf seine Pläne und Hoffnungen immer an den anderen denken. Und man sollte voreinander auch keine Geheimnisse haben. Auch sollten sie nur gemeinsame Freunde haben.

Und auf diese Art und Weise fließen zwei Leben zu einem einzigen Leben zusammen, und ein eine solche Ehegemeinschaft teilt sowohl Gedanken, als auch Wünsche und Gefühle, und Leid, und Vergnügen, und Schmerz umeinander.»

«Jede treue Ehefrau sollte die Interessen ihres Mannes teilen. Wenn es ihm nicht gut geht, dann sollte sie versuchen, ihn mit ihrem Mitgefühl zu trösten, und ihm ihre Liebe zu zeigen. Sie wird seine Pläne voller Enthusiasmus unterstützen. Und sie ist keine Last auf seinen Schultern, sondern eine Kraft im Herzen, die ihm hilft alles besser zu machen.

Uneigennützige Liebe ist Pflicht in der Familie. Jeder sollte das eigene „Ich“ vergessen und sich vor allem dem anderen zuwenden.

Die Ehe – das ist die Vereinigung zweier Hälften zu einem Ganzen. Zwei Leben sind miteinander in einer solchen Vereinigung verbunden, dass es schon nicht mehr zwei Leben, sondern eines sind. Jeder trägt bis zu seinem Lebensende die heilige Verantwortung für das Glück und das höchste Wohl des anderen.»

«Für jede Frau ist es die wichtigste Pflicht – sich um die Einrichtung ihres Hauses und dessen Gestaltung zu kümmern. Sie muss großzügig und herzlich sein…Eine wahre Frau teilt mit ihrem Mann die Last seiner Sorgen. Was auch immer dem Mann im Laufe eines Tages geschehen mag, sobald er sein Haus betritt sollte  ihn eine Atmosphäre der Liebe und Sorge umgeben. Andere Freunde können Verrat an ihm üben, doch die Ergebenheit der Frau sollte sich niemals ändern. Wenn es dunkel wird und Unbilden den Mann erreichen, dann betrachten ihn die ergeben Augen der Frau, wie Sterne der Hoffnung, die in der Dunkelheit leuchten. Wenn er sich in etwas versenkt, dann hilft ihm das Lächeln seiner Frau, wieder Kraft zu sammeln und wie Sonnenstrahl die verwelkende Blume aufrichtet.»

«In jedem Haus gibt es Prüfungen, aber ich einem wahren Haus herrscht Frieden, der nicht durch irdische Stürme zerstört werden darf. Das Haus ist ein Ort der Wärme und Zärtlichkeit. Und im Hause sollte man nur liebevoll sprechen.

In einem solchen Hause werden sich nur Schönheit und ein warmer Charakter entwickeln. Ein Unglück unserer Zeit besteht darin, dass die leisen Familienabende durch anderen Angelegenheiten, Vergnügungen und Gesellschaftsaffären abgelöst werden.»

«Das Hauptlebenszentrum eines jeden Menschen sollte sein Haus sein. Es ist der Ort, wo die Kinder aufwachsen – wo sie sich physisch entwickeln, wo sie ihre Gesundheit stärken, und alles in sich aufnehmen, was sie zu wirklich ehrbaren Männern und Frauen macht. In einem Haus, in dem Kinder aufwachsen, werden diese von ihrer gesamten Umgebung und allem, was geschieht, beeinflusst, und auch das kleinste Detail kann einen guten oder schädlichen Einfluss hervorbringen. Auch die sie umgebende Natur formt ihren zukünftigen Charakter. Alles Schöne, was die Kinderaugen sehen, wird in ihren aufnahmefähigen Herzen widergespiegelt. Wo auch immer ein Kind erzogen wird, in seinem Charakter werden sich die Eindrücke des Ortes, wo es aufgewachsen ist, immer niederschlagen. Die Zimmer, in denen unsere Kinder schlafen, spielen, leben, müssen wir so schön gestalten, wie es unsere Mittel erlauben. Kinder lieben Bilder und, wenn die Bilder, die es im Hause gibt, rein und schön sind, dann werden sie feinfühliger sein. Doch auch die häusliche Einrichtung selbst, die rein und gut ist, wird wunderbar auf die Kinder einwirken, alles sollte geschmackvoll sein und einfacher Schmuck und angenehmer Anblick, wirken sich unschätzbar gut auf die Erziehung der Kinder aus.»

Das kleine und das große Haus: Die Familie und Russland

 

 
Der Zar und die Zarin mit ihren Töchtern. 1901
Im Jahre 1895 wurde die erste Zarentochter geboren, Olga. Alexandra Fjodorowna schrieb an ihre Schwester, die Prinzessin Viktoria: „Dir schreibt eine lachende und glückliche Mutter. Kannst Du dir unser momentanes unendliches Glück vorstellen, wo wir unsere wertvolles Kindchen haben, und wir können uns um dieses kümmern und sorgen.»

Auf Olga folgten noch drei Töchter und ein Sohn: Tatjana – 1897, Maria – 1899; Anastasija- 1901 und Alexei – 1904. Alexandra Fjodorowna stillte ihre Kinder selbst. Für eine Monarchin ihrer Zeit war das ein Abweichen von der Tradition, denn es war damals üblich, eine Amme anzustellen. Die Kinder wuchsen heran und die Mutter nahm an der Erziehung und Bildung regen Anteil.

In  Bezug auf ihr Familienleben war Alexandra Fjodorowna ein Beispiel vieler Tugenden: sie war makellos, liebte ihren Gatten leidenschaftlich, sie war eine vorbildliche Muter, die aufmerksam die Erziehung ihrer Kinder beobachtete, und die alle Anstrengungen unternahm, damit sich in ihnen hohe ethische Prinzipien entwickeln konnten. Doch sie war auch eine gute, praktische und sparsame Hausfrau wie es die Alexandra Fjodorowna Nahestehenden beschrieben.

Die Schwester von Nikolai II., Olga Alexandrowna, berichtet folgendes über die Zarin in ihren Erinnerungen:  « Sie war vollkommen, was ihr Verhalten Niki gegenüber anging, vor allem in jenen ersten Tagen, als die Staatsangelegenheiten förmlich auf ihn einstürmten. Ihr Mut habe ihn sicher gerettet. Und man muss sich nicht wundern, dass er sie „meinen Sonnenschein“ genannt hat – also ihren Spitznamen von Kindesbeinen an nutzte. Sie blieb das einzige Sonnenlicht in seinem bei weitem nicht wolkenlosen Leben. Oft haben wir Tee zusammen getrunken. Ich erinnere mich, wenn er den Raum betrat, oft sehr müde, von einem Tag, der mit Audienzen angefüllt war. Und niemals äußerte Alix etwas Ungehöriges. Mir haben ihre ruhigen Bewegungen gefallen.»

Ungeachtet der vielfältigen Sorgen, die mit der Geburt oder mit der Erziehung der Kinder verbunden waren, beschäftigte  sich die Zarin über den engen Familienkreis hinausgehend auch noch mit charitativen Aufgaben und dies mit der ganzen ihr eigenen Selbstaufopferung. Für sie waren die Familientraditionen, die Sprache und das Volk in Russland völlig neu. Doch sie war von dem aufrichtigen Wunsch durchdrungen, dem Land und seinen Menschen zu dienen.

In dieser Hinsicht schrieb ihre enge Freundin, Anna Wyrubowa folgendes: «Die Zarin, die aus einem kleinen deutschen Fürstentum stammte…wo wenigstens jeder versuchte, irgendetwas Nützliches zu tun, fand das faule und gedankenlose Leben der russischen Oberschicht nicht nach ihrem Geschmack. Mit viel Enthusiasmus machte sie sich daran, schon in den ersten Tagen ihrer Herrschaft Versuche zu unternehmen, etwas zum Besseren zu wenden. Eines ihrer ersten Projekte war die Organisation einer Gesellschaft der Handarbeiterinnen, die aus Hofdamen und Zirkeln bestand, deren Mitglieder in Handarbeit drei Kleider jährlich  für die Armen schneidern sollten. Leider hielt sich dieser Zirkel nicht lange. Viel zu fremd fanden die Russen diese Idee. Doch dennoch, bestand die Zarin darauf, in ganz Russland Arbeitshäuser zu schaffen, und Werkstätten, wo die arbeitslosen Männer und Frauen Beschäftigung finden könnten, und diese halfen vor allem jenen unglücklichen Frauen, die wegen ihrer moralischen Entgleisungen ihre Stellung in der Gesellschaft verloren hatten.»

Auf eigene Initiative schuf Alexandra Fjodorowna Arbeitshäuser in Russland, Schulen für Ammen orthopädische Kliniken für kranke Kinder. Eine andere Sorge Alexandra Fjodorwonas war die Schaffung einer Schule der Volkskunst. Sie wollte dabei gerne die alten und vom Aussterben bedrohten bäuerlichen Traditionen pflegen und sie organisierte eine Schule, in der junge Bäuerinnen und Nonnen einen zweijährigen Kurs zum Erlernen des Volkshandwerks durchlaufen konnten. Und diese Frauen brachten dann anderen das wieder belebte Handwerk bei – in Werkstätten der Dörfer und der Kloster.

Das persönliche Einkommen der Zarin war vergleichsweise niedrig, und sie musste ihre persönlichen Ausgaben einschränken, um den charitativen Aufgaben zu folgen. Während der Hungersnot von 1898 spendete sie 50 000 Rubel aus ihrem persönlichen Vermögen  für die Hungernden im Dorf, und das kam zu den gewöhnlichen Ausgaben für wohltätige Zwecke noch hinzu. Im Jahre 1915 musste sie Bittsteller davon in Kenntnis setzen, dass diese noch bis zu Beginn des nächsten Jahres warten sollten, da sie ihr Jahreseinkommen für Witwen, Verwundete und Waisen ausgegeben hatte.

 

Prüfung durch Trennung

Co-Regierung

 

Der im Juli 1914 beginnende Erste Weltkrieg veränderte das Gesicht Russlands, die Lebensweise der Menschen und Familien und dazu gehörte auch die Zarenfamilie. Nun musste alles darauf ausgerichtet sein, zu siegen.

Verwundete von der Front kamen ständig in die Hauptstadt und die Zarin beschäftigte sich damit, diese in Lazarette zu verteilen und medizinische Versorgung angedeihen zu lassen. Es gab in der Geschichte des Landes viele Kriege, viel Blut und Leiden, doch wer von den Zarinnen hat als Krankenschwester gearbeitet und eigenhändig bei chirurgischen Eingriffen assistiert, und die Verwundeten gepflegt?

Die Aufmerksamkeit von Nikolai II. war auf die   militärischen Probleme gerichtet. Vom ersten Tage des Krieges an besuchte der Zar den Stab in Mogiljow und auch die Front, ebenso wie andere Gebiete des Landes. Und als er den Oberbefehl über die Armee im August 1915 übernommen hatte, siedelte er ganz in das Hauptquartier über. Das Zarenpaar musste nun eine lang dauernde Trennung hinnehmen, die nur durch tägliche Korrespondenz und die seltene Besuche der Zarin und der Töchter im Hauptquartier etwas abgemildert wurde.

 

Während einer der seltenen 
Besuche während der Kriegszeit.
Vor der Abfahrt des Zarenzuges in das Hauptquartier.
Frühjahr 1915.
Aus einen Brief Alexandra Fjodorownas an ihre Mann: « Oh, wie schrecklich ist die Einsamkeit nach deiner Abreise! Obwohl ich mit den Kindern zusammen bin, aber mit dir geht ein Teil meines Lebens fort – du und ich wir sind doch ein Ganzes.»

Die Antwort von Nikolai Alexandrowitsch: « Meine geliebte kleine Sonne, mein liebes Frauchen! Meine Liebe, ich vermisse dich so, dass ich es gar nicht ausdrücken kann!»

Brief von Alexandra Fjodorowna: « Ich weine, wie ein großes Kind. Ich sehe deine traurigen Augen vor mir, die so voller Zärtlichkeit sind. Ich sende dir meine heißesten besten Wünsche für den morgigen Tag. Das erste Mal in 21 Jahren verbringen wir diesen Tag nicht gemeinsam, doch wie lebendig erinnere ich mich an alles! ... Welches Glück und wie viel Liebe hast du mir in all diesen Jahren gegeben.»

Brief von Nikolai Alexandrowitsch: „Ich danke dir sehr herzlich für deine Liebe. Wenn du nur wüsstest, wie diese mich aufrechterhält. Ich weiß wirklich nicht, wie ich das alles durchgestanden hätte, wenn Gott mir dich nicht als Frau und Freund gegeben hätte. Ich sage das ganz im Ernst, mir fällt es leichter all das auf dem Papier zu formulieren – wegen der dummen Schüchternheit.»

Und diese Zeilen haben sich Menschen geschrieben, die schon das 21. Jahr miteinander verheiratet waren…

Die Sorgen ihres Mannes, seine schwer auf ihm lastenden Verpflichtungen beschäftigen die Zarin sehr stark. Früher stand sie ihm vor allem mitfühlend und durch moralische Unterstützung bei, aber während des Krieges beschloss sie, ihm auch in staatlichen Angelegenheiten zur Seite zu stehen. Die Zarin war durchdrungen von dem Wunsch die schwere Last des geleibten Partners mit zu tragen und sie litt mit dem ganzen Lande mit: „Alles trägst du alleine, mit einem solchen Mut! Gestatte mir, dass ich dir helfe mein Schatz! Es gibt sicher Dinge, in denen eine Frau nützlich sein kann. Ich möchte dir so gerne etwas abnehmen.»

Der Zar antwortete: «Ja, in der Tat, du solltest meine Augen und Ohren dort ersetzen in der Hauptstadt, während ich mich hier aufhalte. Zu deinen Pflichten gehört es, die Übereinstimmung und Einheit unter den Ministern aufrecht zu erhalten – damit wirst du unserem Land einen großen Nutzen erweisen! Ich bin so froh, dass du etwas gefunden hast, was dir zusagt! Nun bin ich natürlich ruhiger und werde mir wenigstens um die inneren Angelegenheiten weniger Gedanken machen.»

Noch vor dem Krieg, als sie sich um charitative Aufgaben kümmerte , und vielen Komitees vorstand, stellte die Zarin ihr organisatorisches Talent unter Beweis. Alle Personen, die mit ihr in Sachfragen zu tun hatten bestätigten einmütig, dass es unmöglich war, ihr von einer Angelegenheit zu berichten, ohne sich mit dieser vorher eingehend vertraut gemacht zu haben.

Den Vortragenden stellte sie sehr viele, bestimmte und sachbezogene Fragen, die das Wesen der Angelegenheit betrafen, und dabei viele Details tangierten, und danach gab sie eindeutige und genaue Anweisungen. Und gerade ihr Organisationstalent kam der Zarin in der Kriegzeit sehr zu  gute.

Nikolai II. war seiner Frau sehr dankbar, dass sie sich so in den Staatsangelegenheiten engagierte. Alexandra Fjodorowna nahm auch die Berichte einiger Minister entgegen, und sie gab Anweisungen, was die laufenden Angelegenheiten betrafen, sie beteiligte sich bei der Ernennung von Personen für bestimmte Ämter; und sie gab die Information darüber stets umgehend an ihren Gatten weiter.

Wenn die Zarin sich unsicher fühlte und sich für ihre „Verwegenheit“ entschuldigte, beruhigte der Zar sie: «Du musst dir keinerlei Vorwürfe machen, ganz im Gegenteil, ich muss dir dankbar dafür sein, dass dank dir in dieser Angelegenheit ein Erfolg erzielt wurde.».

Nicht alle nahmen den Fakt mit Enthusiasmus wahr, dass ich die Zarin in Staatsangelegenheiten einmischt, obwohl das doch nur natürlich war: während der Abwesenheit ihres Gatten übernahm die Ehefrau die Pflichten der inneren Regierung des Landes. „Einige ärgern sich, dass ich mich in Dinge einmische“, schrieb Alexandra Fjodorowna im September des Jahres 1915. «Doch es ist meine Pflicht, Dir zu helfen. Doch auch in dieser Hinsicht verurteilen mich einiger Minister und auch die Gesellschaft: sie kritisieren nur alles und beschäftigen sich selbst mit Dingen, die sie überhaupt nichts angehen. So unsinnig reagiert zuweilen die Welt!»

Wie die darauf folgenden Ereignisse später zeigten, so waren ihre Bewertungen und Schlüsse, was die obere Gesellschaftsschicht anging, geradezu prophetisch, die durch Macht und Ehrenzeichen verwöhnten staatlichen Angestellten, die Vertreter des Adels, mit Ausnahme einiger weniger, die der Zarenfamilie treu blieben, flohen wer weiß wohin.

 

Wieder vereint…bis zum Schluss

 

Der Krieg hatte das Leben des Landes destabilisiert. Der Willen des Monarchen fiel schon nicht mehr mit dem Willen der russischen administrativen Gewalt zusammen. Am 2. (15.) März des Jahres 1917 verzichtete Nikolai II, auf den Thron. Der Zar sagte sich freiwillig, im Interesse der Bewahrung des Friedens und des Wohlergehens des Landes von den ihm zustehenden Machtbefugnissen los und übergab diese an seinen jüngeren Bruder (dessen Zarenherrschaft war sehr kurz, sie bestand nicht einmal einen Tag lang).

Am 2. März wurde gegen Abend ein neu Zusammenstellung der Staatsduma gewählt – die Übergangsregierung.

Am 7. (20.) März nahm die Übergangregierung folgende Resolution an: «Der Zar Nikolai II. und seine Frau sind in Gewahrsam zu nehmen».

Darauf folgte die Verhaftung der Zarenfamilie. A, 7. (20.) Märze wurde die ehemalige Zarin Alexandra Fjodorowna mit ihren Kindern  in Zarskoe Selo verhaftet und der Zar selbst in Mogiljow in Gewahrsam genommen. Am 9. März wurde er unter strenger Bewachung nach Zarskoe Selo gebracht.

„Die Rückkehr des Herrschers war für seine Familie ein großes Glück, ungeachtet der Umstände“, so beschrieb es der Lehrer der Zarenkinder Pierre Gilliard. Die Zarin und Maria Nikolajewna, und die kranken Kinder hatten so viel Angst und Sorge um den Zaren, nachdem sie von seiner Lage gehört hatten (gemeint ist der Verzicht auf den Thron – Autoren-Herausgeber)! Und es war für sie eine große Beruhigung, dass man während der Zeit solch strenger Prüfungen endlich wieder zusammen sein konnte. Sie hatten das Gefühl, als sein ihre Lage dadurch leichter geworden und die große Liebe, die sie einander entgegen brachten, gab ihnen so viel Kraft, um alle Leiden zu erdulden.“

Aus dem Tagebuch von Alexandra Fjodorowna:

„Es gibt ein Leiden, welches mehr verletzt als selbst der Tod. Doch die Göttliche Liebe kann jede Prüfung zu etwas segenreichen machen.

Die Liebe, die wir einander entgegen bringen kann in sonnigen Tagen sehr aufrichtig und tief sein, aber sie wird niemals so stark sein, wie in den Tagen des Leidens und des Schmerzes, wenn sich der ganze bis dahin verborgene seelische Reichtum öffnet.“

 

Liebe Mama und Papa..
Zarskoe Selo 1917
Diese Zeilen wurden von der Herrscherin lange vor den harten Prüfungen nieder geschrieben, die die Zarenfamilie im letzten Jahr ihres Lebens erdulden musste. Alles, was sie jemals in ihrem Tagebuch notiert hatte, inklusive die Gedanken der großen und heiligen Menschen – alles wandte sie in ihrem eigenen Leben an.

Ihre Liebe, die in der Kindheit sich schüchtern und zärtlich entwickelte hatte, wuchs heran und wurde immer fester, und sie entwickelte sich aus einem kleinen Keim zu einem großen und mächtigen Baum. Die Prüfungen, die das Leben ihnen stellte begannen an den Wurzeln zu nagen, doch die starken Wurzeln, die von den besten Erfahrungen der Vorfahren durchdrungen waren, gaben dem Stamm und den Ästen Lebenskraft, und der Baum ihrer Liebe erblühte und duftete beständig und brachte die wertvollsten Früchte.

In ihren Beziehungen dominierte nicht die Fleischeslust. Dass Gefühl, welches sie verband war viel bedeutender, höher und umfassender. Es handelte sich um ein unendliches Gefühl, um ein gegenseitiges Verschmelzen der Seelen miteinander, es glich Selbstvergessenheit und Selbstentsagung. Nikolai Alexandrowitsch und Alexandra Fjodorowona verfügten beide über diese Gabe.

Kaum jemand ahnte etwas von der Tiefe und dem Umfang dieser Gefühle zu jener Zeit. Diese Sphäre war ganz alleine innere Angelegenheit, betraf ihr persönliches Leben, eine gewisse Unantastbarkeit, mit der sie sich zu Lebzeiten so gut schützen konnten.

Das Leben von Zar und Zarin war nicht nur von gegenseitiger Liebe durchdrungen, sondern auch von göttlicher Liebe erleuchtet. Sie lebten immer im Namen von Christus und warn ganz und gar und auf ewig Gott ergeben. Das ist wirklich ein großes Wunder, wenn man bedenkt, welche Stellung die einnahmen und in welcher Gesellschaft sie sich bewegten. In dieser Welt war der Glaube für viele nur ein notwendiges Ritual, welches es erlaubte die Zeit auszufüllen.

Aus dem Tagebauch von Alexandra Fjodorowna:

„In allem, was wir haben und was wir tun, brauchen wir den Segen Gottes. Niemand außer Gott unterstützt uns in der Zeit des großen Unglücks. Das Leben ist so zerbrechlich, dass jede Trennung schon ewig sein kann. Wir können niemals sicher sein, dass es möglich ist, Vergebung für ein böses Wort zu bitten oder dass uns verziehen wird.“

Im Dezember 1917 schrieb Alexandra Fjodorowna aus ihrer Haft: „Es schmerzt, es ist erdrückend, traurig, peinlich, man leidet, alles tut weh, man ist wie erschlagen, aber in der Seele ist man ganz ruhig, und man fühlt einen ruhigen Glauben und Liebe Gott gegenüber. Dieser wird die seinen nicht verlassen und die Gebete der Gläubigen erhören und Barmherzigkeit walten lassen und erretten.“

Ihr Liebe zu Russland war genau so stark wie ihre Liebe zueinander und zu Gott.

Wie viel Edelmut, Selbstentsagung und selbstlose Liebe sprechen aus den Briefen von Alexandra Fjodorowna aus Tobolsk (der Ort der Verbannung der Zarenfamilie) an A. A. Wyruwobwa:

„Oh, Gott, rette Russland! Das ist der Schrei, den meine Seele am Tage und in der Nacht ausstößt, darin liegt alles für mich.“

„..man kann die Liebe zu Russland nicht aus meinem Herzen heraus reißen, ungeachtet dessen, wie undankbar man sich dem Zaren gegenüber zeigt, was mein Herz schier zerreißt. Doch das betrifft schließlich nicht das ganze Land. Es ist eine Krankheit, nach der das Land erstarken wird.“

„Ich fühle mich als Mutter dieses Landes und ich leide um dieses wie um ein Kind, und ich liebe meine Heimat ungeachtet des gegenwärtigen Schreckens, und aller Sünden.“

„Wir leben nicht um unserer selbst willen, sondern für die anderen, für die Heimat. Ich liebe meine Heimat sehr stark…Lieber Herrgott, erbarme dich der unglücklichen Heimat gegenüber, und lasse sie nicht unter dem Joch der ‚Freiheit“ untergehen’!“

Diese Zeilen schreibt jemand, den eben diese Heimat ablehnte und verhöhnte…

Fremdes Leiden ging der Zarin noch mehr zu Herzen als das eigene. Sie hielt es für sich und ihre Familie für eine große Gnade, dass sie sich im Garten aufhalten dürfen und dort frei herumspazieren können.

„Aber denkt dich nur“, schreibt sie, „an alle die anderen (die in den Kerkern sitzen), was diese Unschuldigen zu erdulden haben… Aber sie werden einst die Krone Gottes tragen können. Man möchte vor ihnen auf die Knie fallen, dass sie so um unsertwillen leiden.“

Doch besonders zu schaffen machten ihr die Ungerechtigkeiten, welche dem Herrscher entgegen gebracht wurden.

„Meinetwegen kann man über mich Unwahrheiten schreiben, das geht ja schon lange so, aber man beschimpft ihn, bewirft ihn mit Schmutz und das ist sehr schwierig.“

Der Zar Nikolai Alexandrowitsch blieb auch im Kerker so, wie er auf dem Zarenthron war. Er ertrug die Schläge des Schicksals mit stoischer Gelassenheit und hoffte schon nicht mehr auf eine lichte Zukunft. Es war für den Monarchen sehr erniedrigend, als er sich vom Zarenthron lossagen musste und was er dann in Zarskoe Selo, Tobolsk und Jekaterinburg durchmachen musste, war an Grausamkeiten kaum zu überbieten. Aber man konnte ihn nicht dazu veranlassen auch nur eines der Prinzipien seiner reinen Seele zu verraten und auch die Liebe zu seinem Volke wurde nicht schwächer. „Wie lange wird unser Russland noch gequält werden und durch äußere und innere Feinde zerrissen werden? Man hat manchmal das Gefühl, dass man schon kaum noch Kraft hat, man weiß nicht, auf was man hoffen soll, was man sich wünschen soll. Und doch ist niemand anders als Gott! Möge sein Heiliger Wille geschehen“, notierte Nikolai Alexandrowitsch in seinem Tagebuch.

Der Schmerz um seinen Sohn und das Schicksal Russlands waren eine sehr schwere Prüfung für die Zarenfamilie. Doch ihre Liebe, die von Gott gefestigt wurde, hielt allen Prüfungen stand.

Und sie blieben zusammen. Bis zum Schluss, bis zum Tode.

Sie blieben auf ewig vereint, wie sie es sich einst n der Jugend versprochen hatten.

 

 

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